Umlenkhebelwellen

Bedingt durch seine ungewöhnliche Vorderachskonstruktion in Verbindung mit der Bauweise Frontantrieb/Längsmotor braucht der Barkas ein Lenkgestänge, bei dem die Spurhebel nach hinten gucken (statt nach vorne, was eigentlich viel günstiger wäre, aber mit dieser Vorderachse nicht geht) und bei dem die mittlere Spurstange der dreigliedrigen Verbindung zwischen den beiden Achsschenkeln nach oben versetzt über das Schaltgetriebe "umgeleitet" werden muss. Dies bedingt, dass den Lagerpunkten der Umlenkhebel besondere Bedeutung zukommt: anders als bei einem konventionellen dreigliedrigen Lenkgestänge, bei dem die drei Spurstangen (ungefähr) in einer Ebene liegen, hat die Präzision der Lagerung der Zwischenhebel direkten Einfluss auf die Lenkexaktheit. Auch die Stabilität der auf Torsion beanspruchten Verbindungswellen der jeweiligen oberen und unteren Zwischenhebel ist sehr wichtig, darüber hinaus muss die Lagerung dennoch möglichst leichtgängig sein und sollte ein geringes Losbrechmoment haben.
   
Original sind die beiden Zwischen- oder Umlenkhebelwellen - die mit 35 mm Durchmesser sehr kräftig ausgelegt sind - in je zwei Buchsen aus Hartgewebe gelagert. - Bei den B1000-Prototypen und den Fahrzeugen der ersten Serie war man in der Fertigung von Verbundwerkstoffen noch nicht so weit gewesen und hatte Metallbuchsen verwendet, die aber im bald auf Hartgewebe (Hgw) umgestellt wurden.

Die verwendeten Hgw-Buchsen erfüllen viele heutige B1000-Schrauber mit Misstrauen; zudem ist die vorgeschriebene Vorgehensweise aufwändig, denn sie erfordert Arbeitsschritte - etwa das maßgenaue und exakt fluchtende Aufreiben der eingepressten Buchsen auf 35 h7), für die viele Hobbybastler nur unzureichend eingerichtet sind. Daher wird immer wieder über den Umbau auf andere Lagerungen nachgedacht. Ich hab hierzu den mir zugänglichen Erkenntnisstand zusammengetragen und gebe hier eine Auflistung der wichtigsten Fakten für die unterschiedlichen Lagerungsmöglichkeiten inklusive Bewertung.

  1. Nadel- oder andere Wälzlager

wären auf den ersten Blick eine feine Sache; Hauptvorteil wäre das fast völlig fehlende Losbrechmoment - sie haben sozusagen kaum Haftreibung und die Lenkung könnte damit leichter in die Geradeausstellung zurücklaufen und auch insgesamt leichter laufen als mit Gleitlagern. Dennoch sind Nadellager an dieser Stelle VÖLLIG ungeeignet - aus mehreren Gründen:

a) Die Oberfläche der Welle von ihrer Bearbeitung her nicht für Wälzlager geeignet.

b) Die Welle ist zu weich - das Gegenstück für die Wälzkörper muss IMMER gehärtet sein, was bei der Welle nicht der Fall ist.

c) Das Lager müsste gut abgedichtet sein - Wälzlager sind sehr schmutzempfindlich (wäre bei geeigneter Konstruktionsänderung aber evtl. machbar).

d) Der recht dünnwandige Außenring der Nadelbüchse hat selbst kaum Dimensionsstabilität; er ist darauf angewiesen, dass er in einer sehr präzisen Aufnahme steckt und von genug Material gestützt wird. - Im Antriebsgehäuse (Achsschenkellagerung) ist das der Fall; bei den ausgedrehten Rohrstücken, in denen die Umlenkhebelwellenlager sitzen, eher nicht. Man müsste (wie von mir schon einmal angeregt) auf jeden Fall von außen eine Verstärkung der Lageraufnahmen vornehmen, etwa durch Anbringen eines aufgeschrumpften Passstückes. Wenn die Verstärkung aufgeschweißt wird, muss die Lageraufnahme danach erneut ausgedreht oder ausgespindelt werden, damit sie präzise zylindrisch ist.

e) Nadellager können nur unter günstigen Bedingungen, die hier eher nicht gegeben sind, so spielfrei und präzise arbeiten wie Gleitlager.

f) Nadellager lassen sich nicht nachkorrigieren, wenn sie montiert sind - man kann sie nicht ausreiben etc.. Wenn die beiden Lager einer Welle vom Außendurchmesser her nicht 100% fluchten, etwa weil sich im Werk das aufnehmende (und natürlich VOR dem Einschweißen ausgedrehte) Rohrstück sich beim Einschweißen in den Längsträger verzogen hat (angesichts der schrägen und damit ovalen Schweißnähte eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich), dann fluchten Wälzlager auch von Innendurchmesser her nicht und man kann nichts daran ändern. Selbst WENN die Welle durchgeht und halbwegs läuft, führt die ungleiche, dauerhaft verkantete Belastung des Lagers zu baldigem Versagen (zB platzendem Nadelkäfig und/oder brechenden Nadeln). Riskant!
(Anm.: Nicht umsonst sind die beiden Aufnahmebohrungen für die Nadelbuchsen bei der Achsschenkelbolzenlagerung im Antriebsgehäuse in EINEM Bearbeitungsvorgang durchgebohrt. - Nur so fluchten sie 100%ig.)
Die Praktik, dass die originalen Buchsen beim Einbau zunächst auf Untermaß zusammengedrückt und dann fluchtend ausgerieben werden müssen, hat allein DIESEN Zweck: Die waren damals nicht zu blöd, gleich passgenaue Buchsen zu fertigen; aber allein durch das Aufreiben mit der langen, in der jeweils anderen Buchse geführten Reibahle kann eine 100%iges Fluchten erreicht werden, das Voraussetzung für präzisen, leichtgängigen Lauf und hohe Haltbarkeit.

g) Selbst WENN es einmal erreicht worden wäre, kann das 100%ige Fluchten der beiden Lager während des Betriebs offenbar nicht sichergestellt werden. Jedenfalls legen das die empirischen Befunden nahe - gemeint ist das "Schwergehen" oder "Klemmen" der Lenkung bei hoher thermischer Beanspruchung des Wagens, von dem wiederholt berichtet wurde. - Nadellager würden auf diesen offensichtlichen Verzug noch viel kritischer als Gleitlager reagieren (die einfach nur immer schwerer gehen) - ggf. auch mit Käfig- oder Nadelbruch, der in jedem Fall einen Totalausfall des Lagers - ggf. auch ein Blockieren! - zur Folge hätte. - Selbst wenn das Phänomen der klemmenden Lenkung noch nicht ganz erforscht ist und ggf. durch geeignete Gegenmaßnahmen (Wärmeschutz- oder Kühlungseinrichtungen - ggf. auch erhöhtes Laufspiel) beseitigt werden könnte, erscheint das Risiko einer plötzlich blockierenden Lenkung zu hoch..

h) Im Gegensatz zur originalen Buchse - die hierfür ja diesen "Kragen" hat - kann eine Nadelbuchse keinesfalls irgendwelche Axialkräfte aufnehmen. - Solche wirken aber aber auf die Wellen, nämlich vor allem durch die Schrägstellung der äußeren Spurstangen gegenüber der Horizontalen. - Hier müssten in jedem Fall geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden - etwa durch Anlaufscheiben, Drucklager etc. 

  1. Gleitlagerung in Messing- oder anderen Buntmetallbuchsen

ist schon mal deutlich besser als Wälzlagerung. Sie ist präziser, außerdem fallen die Nachteile a) bis f) weg. Der Punkt g) bleibt aber, h) je nach Einzelfall auch - und es kommt noch ein bisschen was dazu, so dass es insgesamt so aussieht:

a) Wenn es wirklich MESSING ist, was da verwendet werden soll (und nicht nur die umgagssprachliche Bezeichnung), ist es recht ungeeignet. Messing ist zu hart, "zerwerkelt" die Welle. WENN, dann muss Rotguss (Lagerbronze) verwendet werden.

b) Messing etc. hat eine deutlich höhere Wärmedehnung als der Stahl der Welle. Das könnte evtl. kritisch werden, wenn man mit engen Passungen arbeitet.

c) Messing etc. gibt kaum nach; das kann dazu führen, dass das Verzug-Problem (s. 1. g)) sich deutlicher auswirkt, also die Lenkung viel stärker klemmt als bei den gutmütigeren Hgw-Buchsen.

d) Messing etc. reagiert kritischer auf Schmierungsmangel als Press- oder Kunststoff. Es hat keinerlei Notlaufeigenschaften, frisst bei Trockenlauf fast sofort.

e) Messing (in Einschränkungen auch Bronze und Rotguss) ist galvanisch nicht neutral gegenüber Stahl. Wenn ein geeigneter Elektrolyt (zB Wasser, speziell im Winter in Verbindung mit Streuzsalz) dazukommt, entsteht eine galvanische Reaktion in Form von galvanischer Korrosion. Messingbuchsen müssen also gegenüber dem Stahl der Welle und der Lageraufnahme im Rahmen isoliert und abgedichtet werden; das passiert normalerweise durch sorgfältiges Schmieren. Wird die Schmierung vernachlässigt, wird das Lager nicht nur schwergängig, sondern zersetzt sich auch durch die galvanische Korrosion.

f) Zylindrischen Buchsen fehlt der Kragen für die Aufnahme der Axialkräfte. (wie 1. h)) Gegenmaßnahmen (Anlaufscheiben etc.) sind nötig.

  1. Gleitlagerung in Sinterbuchsen

ist SEHR ungeeignet. Der Vorteil gesinterter (= unter hohem Druck gepresster, nicht gegossener) Buchsen ist die größere Härte (unerwünscht) und die Möglichkeit, Schmiermittel ins Lager selbst einzubauen, so dass eine quasi dauergeschmierte Lagerung entsteht (hier irrelevenat). Die bei 2. aufgezählten Nachteile b), c), e) und f) gelten hier natürlich genauso. Dazu kommt ein sehr schwerer Nachteil:

a) Höhere Wärmedehnung (s. 2.b)

b) Fehlende Gutmütigkeit (S. 2.c)

c) galvanische Reaktion möglich (s. 2. e)

d) Bei zylindrischer Bauform keine Aufnahme von Axialkräften (s. 1. h) und 2. f)

e) Sinterlager erfordern eine sehr feine Bearbeitung der Welle, die nicht gegeben ist

f) Sinterlager erfordern eine sehr harte Welle - denn sie sind selbst sind schon sehr hart und die Welle muss in jedem Fall härter sein als die Lagerbuchse.

 

  1. Gleitlagerung in thermoplastischen Kunststoffbuchsen

ist eine sehr unproblematische Möglichkeit. Verlockend ist hier vor allem die außerordentliche Gutmütigkeit des Materials, die zum einen ein ungenaues Fluchten der beiden Lager ausgleicht, Ungenauigkeiten der Passung und des Sitzes "überbrückt" und es damit meist erspart, dass man die Lager beim Einbau genau anpasst, zB auf den geforderten Passsitz und auf Fluchtung aufreibt. Außerdem sind Kunststoffbuchsen je nach Werkstoff sehr unempfindlich auf Schmierungsmängel bzw. auch mit eigentlich schlecht schmierenden Schmierstoffen "zufrieden". Zudem ist Kunststoff auf jeden Fall galvanisch neutral gegenüber allen Metallen; galvanische Reaktionen wie Festfressen oder galvanische Korrosion ist daher ausgeschlossen. - Daher wird Kunststoff als Lagermaterial gern verwendet, wenn die Schmierung mit Wasser erfolgt. So werden beispielsweise die Propellerwellen von Schiffen (auch großen!) heute fast immer in Kunststoffbuchsen gelagert; meist kommt dabei PEEK http://de.wiki...olyetherketone verwendet.
Je nach Werkstoff und Einbausituation kommen dabei aber folgende Nachteile zum Tragen:

a) Die Gutmütigkeit verleitet dazu, die Lager mit leichtem Presssitz einzubauen. Damit "klemmt" die Lagerung schon beim Einbau leicht, hat also ein sehr hohes Losbrechmoment. Man muss dann beim Fahren ständig korrigieren, hat keinen vernünftigen Geradeauslauf.

b) Die Elastizität verhindert auf der anderen Seite eine präzise Lagerung. Besonders bei hoher statischer Belastung kann daher die genaue Einhaltung von Toleranzen nicht sichergestellt werden. Deshalb kommt eine solche Lagerung in allen Fällen, wo es auf Exaktheit ankommt, NICHT oder jedenfalls kaum in Frage. - Bei den Zwischenhebelwellen veschlechtert der Einbau von Kunststoffbuchsen in jedem Fall die Lenkexaktheit und Präzision. Das gilt vor allem dann, wenn die Lagerung schon beim Einbau nicht völlig spielfrei ausgelegt wird, um Losbrechmoment und Schwergängigkeit zu verringern.

c) Die thermische Belastbarkeit ist je nach Werkstoff eingeschränkt, die Härte nimmt mit steigender Temperatur ab. Je nach Material macht thermische Belastung (zb Erwärmung durch die abgestrahlte Triebwerks- oder Auspuffwärme) die Lagerung zunehmend leichtgängiger, aber ungenauer. Im Extremfall (Erhitzung über den Schmelzpunkt) ist plötzliches Versagen durch Wegfließen der Buchse möglich.

d) Bei Wartungsmangel und Schmutz kann gerade eine Lagerung in weichem Material den Verschleiß der Welle erhöhen, weil sich schmirgelnde Schmutzteilchen im weichen Material der Buchse festsetzen und auf der Welle reiben.


  1. Gleitlagerung in Buchsen aus Pressstoff

wie Bakelit oder anderen Duroplasten.
Pressstoffe haben gegenüber Metall-Buchsen vor allem den Vorteil den Vorteil größerer Gutmütigkeit und chemischer Neutralität bei ausreichender Härte. - Allerdings besteht wegen der Sprödigkeit und weitgehend fehlenden Elastitzität des Materials eine recht hohe Bruchgefahr vor allem bei Schlagbeanspruchung. Für die fragliche Lagerung ist das Material daher nicht geeignet; sie würden evtl. schon durch die leichte Verformung beim Einpressen versagen.

  1. Gleitlagerung in Buchsen aus Hartgewebe oder Hartpapier (Pertinax)


Beide Materialien sind vergleichbar; dabei ist Hartgewebe (das aus in Phenolharzen getränktem und unter hohem Druck und bei hoher Temperatur gepressten Textilgewebe besteht) deutlich teurer, aber auch viel stabiler als Hartpapier wie z.B. Pertinax, bei dem als Füllstoff Zellulosefasern verwendet werden. Hartgewebe hat die Vorteile von Duroplasten wie Bakelit, ist aber erheblich formstabiler und bruchfestster. Es ist hart (aber dabei elastischer und damit gutmütiger als Metalle), abriebfest (auch bei schlechter Schmierung), und thermisch hoch belastbar. Die Struktur ist je nach Materialtyp leicht offenporig; somit saugt das Lager Schmierstoff auf und hat damit (ähnlich wie Sinterlager) durch diese "Selbstschmierung" über einen längeren Zeitraum hinweg sehr gute Notlaufeigenschaften bei Schmierungsmangel. Man kann das Material recht problemlos mechanisch bearbeiten - etwa Bohren, schleifen, sägen, ausreiben, drehen; allerdings riechen die dabei austretenden Phenolharzdämpfe (die auch Formaldehyd enthalten können) streng und sind gesundheitsschädlich.